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jan

ku-klux-klan

   Ein paar Jahre später wäre das alles gar nicht passiert. Es wäre gar nicht mehr möglich gewesen, weil es bald nach der Wiedervereinigung so gut wie keine amerikanischen Streitkräfte mehr in Deutschland gab. Bernd wäre zwar noch immer in den Pornoladen gegangen, aber er hätte Stevie dort nicht getroffen, jedenfalls wäre die Wahrscheinlichkeit wesentlich geringer gewesen, ihm dort zu begegnen.

    Denn dann wäre Stevie wahrscheinlich schon irgendwo in Bosnien, auf den Philippinen oder in Saudi-Arabien stationiert gewesen und hätte ein bisschen Weltpolizei gespielt. Bernd wäre einfach in den Sexshop hineingegangen, hätte sich ein paar schwule Pornos angesehen, hätte mit irgendeinem Typen, der halbwegs akzeptabel aussah, auf der Klappe eine schnelle Nummer geschoben, abgespritzt, wäre einigermaßen befriedigt wieder nach Hause gegangen und hätte sich den wichtigeren Dingen in seinem Leben widmen können.

jan

Jan

Drachenzeit

Ku-Klux-Klan

Der Mann im Mond

Tarot

Die rote Flut

   Zum Beispiel der schriftlichen Hausarbeit, die er für seinen italienischen Literaturkurs schreiben musste und immer noch nicht fertig hatte. Aber nein. Strauß hatte eben erst einen Milliardenkredit für Honecker eingefädelt, die DDR war noch nicht untergegangen, die Amerikaner waren noch immer Besatzungsmacht und Stevie in Karlsruhe mit der Army stationiert.

       Bernd schlug mit der flachen Hand gegen die Wand in seiner Küche und presste sein Gesicht an die Fensterscheibe, bis sein Atem die Hälfte des Glases beschlug, er die Konturen der Straße gegenüber nicht mehr erkennen konnte und alle Umrisse hinter einem milchigen Film verschwunden waren.

    Also hatte Stevie vor den Regalen mit den schwulen Pornomagazinen gestanden, als Bernd die Ladentür aufmachte, und hatte lustlos die Hefte durchgeblättert. Bernd war stocksteif im Eingang stehen geblieben und hatte ihn minutenlang angestarrt, hatte sich von dem Anblick nicht losreißen können. Da stand er, der Mann, den er sich in Gedanken immer ausgemalt hatte, groß, breitschultrig und schwarz, so schwarz, dass Bernd sich nicht an ihm sattsehen konnte. Stevie trug eine blaue, engsitzende Jeans und eine weiße Jeansjacke, darunter ein graues T-Shirt mit der Aufschrift `Nike´, das über der straffen Brustmuskulatur spannte. Mindestens hundert mal hatte Bernd versucht, sich vorzustellen, wie es wohl wäre, mit einem Schwarzen ins Bett zu gehen, hatte sich gefragt, ob Schwarze anders riechen, ob sie anders schmecken, ob sie sich anders anfühlen. Aber jetzt, wo er einem gegenüberstand, bekam er keinen klaren Gedanken in sein Gehirn hinein und glotzte mit weit aufgerissenen Augen wie ein hypnotisiertes Kaninchen, das die Scheinwerfer auf sich zurasen sieht. Vage hörte er sein Herz wild pochen und die leise Popmusik aus dem scheppernden Transistorradio neben der Kasse des Sexshops.

    Irgendwann bemerkte Stevie, dass er von Bernd beobachtet wurde, drehte sich demonstrativ um, musterte Bernd von oben bis unten und drehte sich wieder weg, widmete seine Aufmerksamkeit einigen Dildos, die auf einem Seitenregal in Gesichtshöhe aufgestellt waren. Macho. Bernd atmete tief durch, erleichtert und enttäuscht zugleich in der Gewißheit, an so einen Mann sowieso nicht heranzukommen. Dann zuckte er leicht mit den Schultern und ging zur Kasse, bezahlte den Eintritt für das Pornokino.

    Egal, dachte er. Man kann nicht immer alles kriegen, was man sich wünscht.

    Auf dem Weg nach hinten, dort wo der Eingang zu den Kinos war, musterte er Stevie noch einmal aus den Augenwinkeln, als er an ihm vorbeiging, aber Stevie hatte ihn scheinbar schon vergessen, zeigte ihm nur seinen Rücken.

    Im Kinobereich blieb Bernd einen Moment lang stehen, wartete, bis sich seine Augen an die plötzliche Finsternis gewöhnt hatten. An der Decke glimmten nur zwei nackte Glühbirnen, die gerade mal die allernächste Umgebung erahnen ließen. Ansonsten wurde der Raum nur durch das unruhige Flimmern der Videoleinwand erhellt, auf der es gerade zwei Pornodarsteller in einem Wald an einem Fluß heftig miteinander trieben. Der eine hatte seinen Cowboyhut und ein rotes Halstuch anbehalten, während der zweite Darsteller völlig nackt vor ihm kniete und seinen Schwanz blies. Allerdings wirkte die gesamte Szenerie nicht sonderlich überzeugend und professionell, weil beide Männer alle paar Augenblicke unauffällig in die Kamera blickten, offensichtlich auf neue Regieanweisungen wartend, und danach jedesmal abrupt die Stellung wechselten.

    Kasperletheater! dachte Bernd und verzog verächtlich das Gesicht. Gleich sagt einer der beiden wahrscheinlich: Yeah, baby, suck that dick!

    Kaum hatte Bernd den Gedanken beendet, schlug der Darsteller mit dem roten Halstuch mit seinem halbsteifen Schwanz auf dem Gesicht des anderen herum und stöhnte dabei: Come on, cowboy, suck my big dick!

    Prima, dachte Bernd trocken, vielleicht sollte ich mich als Pornostar in Hollywood bewerben. Die Texte kann ich schon.

    Vorsichtig tastete er sich an der Wand entlang, um nicht zu stolpern oder jemanden aus Versehen anzurempeln. Nach wenigen Schritten blieb unter seinen Schuhen ein verklebtes Tempotaschentuch haften, und Bernd musste sich mit leichtem Ekel bücken, um es mit den Fingerspitzen von seinen Schuhsohlen abzureißen. An einer Stelle, an der er wenigstens einen Teil des Raums, in dem er sich befand, überblicken konnte, blieb er stehen und sah sich um. Es war nicht viel los an diesem Abend, die zerschlissenen und schmierigen Kinosessel waren nur spärlich besetzt. In einer der hinteren Sitzreihen ließ sich ein Typ in Bernds Alter von einem älteren Mann befummeln, und in der dritten und vierten Reihe war jeweils ein Sessel belegt, aber auch nur von Männern, die Bernd nicht sonderlich interessierten.

    Gerade, als er anfing, sich zu ärgern, überhaupt in den Sexshop gegangen zu sein, bemerkte er hinter sich einen Luftzug und hörte, wie die Eingangstür des Kinos ins Schloss fiel. Kurz darauf wurde er am Ärmel gestreift, und Stevie stellte sich direkt neben ihn. Im Dunkeln konnte Bernd seine Augen aufblitzen sehen, als er eine Zigarettenschachtel aus der Brusttasche seiner Jeansjacke herauszog und sich eine Zigarette anzündete. Stevie inhalierte den Rauch tief ein und atmete ihn durch den Mund wieder aus, während sein Blick geradeaus auf den Porno gerichtet war.

    "You wanna get fucked?", sagte er dann, ohne die Augen von der Leinwand zu nehmen.

    Bernd war so überrascht, dass er fast zusammengezuckt wäre. Nervös und aufgeregt konnte er nur schwach mit dem Kopf nicken. Aber das schien Stevie zu genügen. Ohne Bernd auch nur einmal anzusehen, ging er nach vorne durch, wo hinter einem dürftigen Vorhang der Darkroom des Kinos lag, so dunkel, dass man wirklich nur die Hand vor seinen Augen erkennen konnte. Wie benommen und ohne nachzudenken lief Bernd hinter Stevie her, während in seinem Kopf wie eine blinkende Neonreklame immer wieder derselbe Satz aufleuchtete: Er will mich. Er will mich. Er will mich. Als er den Darkroom betrat und den Vorhang wieder hinter sich zugezogen hatte, fühlte er schon Stevies Hände an seiner Gürtelschnalle.



    Ja, dachte Bernd und seufzte unwillkürlich tief auf, wenn ich an diesem Tag nicht in das verdammte Kino gegangen wäre, hätte ich mir wirklich einiges ersparen können.

    Er ging in sein Zimmer zurück und kramte in seinem Kleiderschrank seine Sportsachen heraus. Jogginghose, ein dünnes Sweatshirt, Turnschuhe. Draußen hatte es zwar schon zu dämmern begonnen, aber Bernd beschloss, trotzdem noch eine Runde um den nahe liegenden Park zu joggen. Erstens musste er etwas für seinen Körper tun, und zweitens hatte er dann das Gefühl, dass sein Kopf wenigstens für einige Minuten frei von Stevie war.

    Die Luft war für einen späten Septemberabend noch sehr milde, und Bernd überholte einige Fußgänger, die ihre Jacken über den Schultern trugen, während ihre Hunde mit hechelnder Zunge in den Büschen streunten. Nach kurzer Zeit fand er seinen Rhythmus, setzte automatisch in immer gleichen Abständen einen Fuß vor den anderen. Kurz vor dem Eingang des Parks bog er auf den weichen Rasen ab, der die gesamte Gartenanlage umgab. Der harte Asphalt tat ihm immer nach einer Weile in den Beinen weh, und er spürte lieber das weiche Gras unter seinen Füßen beim Laufen, auch wenn er durch den größeren Widerstand des Bodens schneller ermüdete. Er erschreckte sich kurz, als plötzlich alle Straßenlaternen um den Park herum eingeschaltet wurden und die gesamte Umgebung in ein müdes gelbes Licht getaucht wurde, aber dann lief er weiter. Nach zwei Runden hatte er seine aufgestaute Energie und seinen Frust verbraucht, musste sich anstrengen, damit sein Wille weiterzumachen, nicht nachließ. Seine Atemfrequenz und sein Puls wurden schneller, er fing an zu schwitzen. Nach der dritten Runde klebte sein Sweatshirt an seinem Körper, seine Beine waren wie Blei, jeder Schritt fiel Bernd unendlich schwer. Das Bedürfnis, stehen zu bleiben und sich keuchend auszuruhen, war fast unwiderstehlich, wurde durch die Parkbänke am Rande der Bäume noch zusätzlich verstärkt. Bernds Atem kam jetzt stoßweise; die Kraft, die er bewusst zum Laufen einsetzen konnte, war aufgebraucht. Jetzt war es nicht mehr weit bis zum Kick. Gerade als Bernd glaubte, dass seine Beine unter ihm wegzuknicken drohten, dass er keinen einzigen Schritt mehr weiterlaufen konnte, ohne einen Kreislaufkollaps zu bekommen, wurde ein Schalter in seinem Gehirn umgelegt, und Bernd war frei. Plötzlich spürte er seine Beine nicht mehr, nahm den Schmerz in seinen Füßen nicht mehr wahr. Er fühlte, wie die Anstrengung aus seinem Gesicht verschwand, sein stoßweiser Atem sich normalisierte. Der starre Blick seiner Augen verwandelte sich in so etwas wie einen träumerischen Ausdruck.

    Als Stevie ihn einmal gefragt hatte, was am Joggen denn so Besonderes sei, konnte Bernd seine Gefühle nur schwer in Worte fassen.

    "Wenn man einen bestimmten Punkt überschreitet", hatte er damals gesagt, "ist es, als ob du auf einem Trip bist. Du hast das Gefühl, du schwebst auf einer Wolke, als würde die Erdanziehungskraft ihre Wirkung verlieren. Du glaubst, du könntest die Schwere deines Körpers hinter dir lassen und fühlst dich trotzdem eins mit ihm. Alles um dich herum verliert an Wichtigkeit, Probleme erscheinen dir nicht mehr so groß, du läufst in einem großen Nichts und vergisst alles um dich herum."

    "Jesus, what a crap!", hatte Stevie kopfschüttelnd geantwortet. Aber das war schon zum Ende ihrer Beziehung gewesen.



    Natürlich war Bernd, als sie das erste Mal miteinander herummachten, so aufgeregt, dass er vom Sex kaum etwas mitbekam. Und nicht nur, dass er nervös war, nein, eigentlich stimmte bei diesem ersten Mal überhaupt nichts. Der Bretterverschlag in dem Pornokino war dermaßen eng, dass Stevie bei jeder Bewegung mit seinem Hintern gegen die Rückwand stieß und leise vor sich hin fluchte, weil die Bretter so knarrten. Durch die dadurch verursachten Geräusche bekamen Stevie und Bernd sehr schnell Gesellschaft von den anderen Männern, die sich in dem Kino aufhielten, und Bernd war die ganze Zeit damit beschäftigt, sich irgendwelcher fremder Hände zu entledigen, die versuchten, an ihm herumzugrapschen. Außerdem hielt es Stevie nicht für nötig, seine Zigarette auszumachen, und Bernd wurde zusätzlich abgelenkt, weil er Angst hatte, dass noch heiße Glut auf ihn herabfallen könnte. Er merkte nur, dass Stevie irgendwann mit einem unterdrückten Stöhnen in ihm abspritzte und gleich darauf begann, sich die Hose wieder zuzuknöpfen.

    Damals schon hätte ich es wissen müssen, dachte Bernd. Dieses dämliche Machogehabe! Sex mit brennender Zigarette! Und außerdem hatte er weder einen größeren Schwanz, noch konnte er besser ficken als andere. Arschloch!

    Für Stevie wäre es wohl auch bei diesem einen Mal mit Bernd geblieben, aber Bernd hatte nicht locker gelassen. Er wollte sich nicht einfach so abspeisen lassen, und er wollte diesen Typen nochmal, richtig, bei sich zu Hause, in seinem Bett. Hektisch zog er sich die Hose hoch und lief hinter Stevie her, der schon fast im Begriff war, das Kino wieder zu verlassen.

    "Wait a minute, please", sagte er und begann ein wenig zu stottern. "Do ... do you want to do it again? At my place?", brachte er dann heraus. "Wir könnten zu mir nach Hause gehen."

    Stevie zögerte kurz, aber letztendlich fühlte er sich wohl geschmeichelt und willigte grinsend ein.

    In den ersten Wochen hatten sie es überall getrieben. Bernd hatte noch nie so oft hintereinander Sex wie in dieser ersten Zeit mit Stevie, auch wenn sie sich aufgrund der räumlichen Entfernung nur an den Wochenenden sehen konnten. Zum Beispiel hatten sie es auf einer Toilette im Zug von Karlsruhe nach München gemacht, und Bernd hatte die ganze Zeit befürchtet, ein Schaffner könne sie erwischen. Ein anderes Mal war Stevie in der Küche über ihn hergefallen, und Bernd hatte sich die Handflächen verbrannt, als er sich aus Versehen auf den noch heißen Herdplatten abstützte. Überhaupt hatte Stevie eine Vorliebe für Sex an außergewöhnlichen Plätzen. Anscheinend machte ihn das zusätzlich an. Einmal hatten sie es in einem Parkhaus getrieben, und als sie hinterher in Stevies Wagen nach draußen fuhren, sah Bernd, dass die Videoüberwachungsanlage des Parkwächters genau auf die Stelle gerichtet war, an der Stevie ihm die Hose heruntergerissen hatte. Am liebsten wäre er damals im Erdboden versunken.

    Stevie hatte nur gelacht. "Well, maybe he jerked off. Doesn´t that make you feel horny again, knowing that somebody watched you doing it, kid?", war sein Kommentar gewesen.

    Noch so etwas, was Bernd ziemlich auf die Nerven ging. Stevie nannte ihn ständig `kid´, als ob er damit unterstreichen wollte, dass er älter und welterfahrener war. Manchmal allerdings hatte Bernd den Verdacht, dass Stevie sich nicht an seinen Namen erinnern konnte. Dann überzeugte er sich schnell selbst wieder davon, dass Stevie im Grunde nur zu faul war, Bernds Namen auszusprechen. Ständig hieß es: "Kid, let´s go to the disco!", "What´s to eat tonight, kid?", "You´re not tired yet, kid, are you?" Als ob Bernd gerade sechzehn geworden wäre. Aber wahrscheinlich wollte ihm Stevie nur auf diese Weise zeigen, dass er ihm überlegen war. Dabei hatte er es gerade nötig.

    Ungefähr drei Wochen, nachdem sie sich kennen gelernt hatten, bekam Bernd durch Zufall heraus, dass Stevie noch immer nicht mit dem deutschen Geld umgehen konnte, obwohl er schon über zwei Jahre in Deutschland stationiert war. Sie standen in einem Supermarkt an der Kassenschlange, den Einkaufswagen voll mit Lebensmitteln für das kommende Wochenende. Bernd hatte Stevie versprochen, für ihn zu kochen, und Stevie hatte eingewilligt, hinterher den Abwasch zu machen. Wenn auch nur mit viel Maulen, und Bernd konnte sich ein Bild mit Stevie vor einem Spülbecken auch noch nicht recht vorstellen. Was ihm dabei in den Sinn kam, war eine dieser Rätselseiten in einer Illustrierten, auf der zwei oberflächlich identische Gemälde abgedruckt waren, und wo man als Leser die absichtlich eingefügten Fehler herausfinden musste, um eine Butterfahrt mit Heino und Hannelore oder eine Gratispackung Ilja Rogoff-Knoblauchpillen zu gewinnen.

    Als Bernd die Waren auf das Laufband gelegt hatte, hatte ihm Stevie seine Geldbörse in die Hand gedrückt und gesagt: "Come on, kid, you do that."

    "Aber wieso?" hatte Bernd zurückgefragt. "Es ist doch viel praktischer, wenn ich schon anfange, alles einzupacken, während du bezahlst."

    "I just can´t be bothered", hatte Stevie ungehalten geantwortet, und so hatte Bernd beides gemacht, zahlen und einpacken, während Stevie daneben stand, nervös auf die Uhr schaute und murmelte: "Hurry up, the traffic is getting worse every minute. Let´s move."

    Im Wagen hatte Bernd Stevie angesehen und dann all seinen Mut zusammengenommen.

    "Warum hast du nicht selber bezahlt?", fragte er.

    "I told you."

    "Ich glaube, du kannst überhaupt nicht mit deutschem Geld umgehen!", sagte Bernd. "Du hast keinen blassen Schimmer, wieviel das Geld wert ist, stimmt´s?"

    "And what if?", hatte Stevie ihn angefahren, während er den Wagen zurücksetzte und dann Gas gab. "I´m American, why should I bother?"

    "Aber du lebst jetzt hier!", sagte Bernd. "Es ist doch öde, immer in PX-Läden einkaufen zu müssen, nur weil man da mit Dollar bezahlen kann! Denkst du nicht, du solltest dich mit den deutschen Lebensgewohnheiten auseinandersetzen? Wenigstens ein bisschen?"

    "I don´t need to. I won´t be living here forever, that´s for sure", antwortete Stevie, und damit war für ihn die Debatte beendet.

    Natürlich hatte er nicht abgespült. Stattdessen hatte er nach dem Essen seinen Hosenschlitz aufgeknöpft, sich breitbeinig hingesetzt und Bernd mit diesem coolen Macho-Grinsen angesehen, das ihn gleichzeitig abstieß und auch wieder anzog. "Come on, kid, suck my dick. Let´s say, it´s my way of saying thanks for a nice dinner."

Und Bernd hatte nachgegeben, war in die Knie gegangen, hatte den schwarzen Schwanz in den Mund genommen und Stevie bedient. Aber von diesem Tag an war ihm klar gewesen, dass ihre Beziehung, wenn man sie denn überhaupt so nennen konnte, keinen längeren Zeitraum überdauern würde. Stevie würde irgendwann an einen anderen Ort der Welt versetzt werden, Südostasien, Golfregion, Mittelamerika, und die Frage, ob Bernd irgendwie in der Lage wäre mitzukommen, würde sich überhaupt nicht stellen. Stevie würde ihm keine Träne nachweinen, ihn nur als seinen `German trick´ abhaken und zum nächsten Mann übergehen. Aus den Augen, aus dem Sinn.

    "Liebst du mich?", hatte Bernd eines Abends gefragt, als sie nebeneinander im Bett lagen.

    Lange Zeit hatte Stevie gar nichts gesagt. "Well...", hatte er dann geantwortet, während er seine letzte Zigarette im Aschenbecher ausdrückte. "I like you a lot, kid. And sex with you is great."

    "Das habe ich nicht gefragt", sagte Bernd.

    "I know."

    "Wie wäre es dann mit einer richtigen Antwort?"

    "I´d rather go to sleep", hatte Stevie schläfrig geantwortet. "Let´s talk about it some other time, okay?" Damit hatte er sich auf die andere Seite gedreht und war eingeschlafen.



    Bernd stand unter der Dusche, immer noch außer Atem von seinem Lauftraining, und ließ die heißen Wasserstrahlen auf seinen Rücken prasseln, bis sie seine Haut wie mit Nadelstichen massierten. Die heiße Luft im Badezimmer ließ den Wasserdampf als Nebel an den Kacheln hochkriechen und hüllte Bernd ein. Geistesabwesend griff er nach seinem Duschgel, um sich einzuseifen und den Schweißgeruch seines Körpers abzuwaschen.

    Auch wenn das Joggen seinen Kopf für eine Weile freigemacht hatte von Stevie, jetzt, wo der Kick hinter ihm lag, kamen die Gedanken an ihn mit aller Macht zurück, stürzten erneut auf ihn ein und zwangen ihn wie schon seit Wochen, seine gescheiterte Beziehung wieder und wieder durchzuspielen, jeden Streit und jede Episode noch einmal zu durchleben und endlich, hoffentlich, zu begreifen, warum alles kaputtgegangen war.

    Entnervt von seiner eigenen Unfähigkeit, die Beziehung zu Stevie hinter sich zu lassen, seufzte Bernd auf. Er stellte das Wasser ab, griff nach einem Handtuch und begann, sich abzutrocknen.

    Gründe, warum ich ihm so lange nachgelaufen bin und mir so viel habe bieten lassen, hat es genug gegeben, dachte er. Allein schon der Ausdruck auf den Gesichtern der anderen, wenn ich mit Stevie in irgendeiner Kneipe aufgetaucht bin...

    Er stellte sich vor seinen Kleiderschrank und griff wahllos nach frischer Unterwäsche, einem Hemd und einer sauberen Jeans. Danach ging er in die Küche und durchforstete seine Lebensmittelbestände. Laufen machte ihn immer hungrig. Im Brotkasten fand er ein halbverschimmeltes Graubrot, das er völlig vergessen hatte, und der Kühlschrank gab nicht viel mehr her als zwei Joghurts, ein angegrautes Streichwurstende, eine halbvolle Flasche Martini und ein angebrochenes Fläschchen Poppers.

    Scheiße, dachte er. Stillleben mit Depression. Ich muss einkaufen gehen. Morgen ist Wochenende.

    Entmutigt von der Vorstellung, sich am Freitag abend kurz vor Ladenschluss mit abgehetzten Büroangestellten im Supermarkt um die letzten Sonderangebote an der Wurst- und Käsetheke zu prügeln, lehnte sich Bernd an den Küchenschrank und starrte ins Leere.

    Stevie war nicht der Typ, der nach einer Woche in der Kaserne ein ruhiges Wochenende zu Hause vor dem Fernseher verbringen wollte. Er wusste, dass er gut aussah, und sein Bedürfnis nach Selbstbestätigung war unersättlich. Und Bernd konnte nicht umhin, sich einzugestehen, dass der Neid in den Gesichtern der anderen Männer, wenn er mit Stevie irgendwo auftauchte, ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Kaum betraten sie zusammen eine Kneipe, schien es, als ginge ein Ruck durch die Anwesenden, und alle Köpfe drehten sich in Richtung Stevie und Bernd. Manchmal hatte Bernd das Gefühl, als würde sogar die Musik in den Lokalen für einen Moment aufhören zu spielen. Ein Schwarzer hier in der Szene stellte eine Rarität dar, eine ganz besondere Art von Frischfleisch, und wenn Stevie auch noch nebenbei fallenließ, dass er in der Army war, konnte Bernd förmlich den Sabber sehen, der einigen Männern den Mundwinkel herunterlief. Es dauerte eine ganze Weile, bis er begriff, dass diese Männer aber nur an Stevie interessiert waren und ihn selber als störendes Element auf ihrer Beutejagd betrachteten. Wie ein Pack räudiger Hunde umlagerten sie Bernd und Stevie am Tresen, begierig, jeden ihrer Wortwechsel aufzuschnappen, und zogen dabei Stevie mit ihren Blicken aus. Besonders Männer, die Leder oder Militärklamotten trugen, waren an Stevie und seinem Machogehabe interessiert, und Bernd konnte in ihren Augen den Hunger nach Unterwerfung und Dominanz erkennen. Stevie war die Aufmerksamkeit nach zwei Jahren Aufenthalt in Deutschland gewohnt und flirtete mit jedem, der ihm gefiel, ohne Rücksicht darauf, wie Bernd sich dabei fühlte.

    Bernd merkte, wie sich sein Magen vor Wut zusammenkrampfte, wenn er von der Toilette kam und sein Platz neben Stevie von zwei oder drei Männern eingenommen worden war, die versuchten, mit Stevie ins Gespräch zu kommen, und dabei absichtlich ihre Hände auf seinen Rücken, seinen Oberschenkel oder seinen Hintern legten. Und Stevies Ermutigungen wurden mit der Zeit immer offensichtlicher. Wenn ihm ein Mann gefiel und er in ein Gespräch mit ihm verwickelt wurde, geschah es immer öfter, dass seine Hand wie zufällig die Beule in der Hose berührte oder er an den Brustwarzen des anderen spielte. Bernd, genauso wie die anderen Männer, verstand die Botschaft, die Stevie ausstrahlte: Kümmert euch nicht um den Mann neben mir. Ich bin zu haben! Je länger er mit Stevie zusammen war und je mehr sie ausgingen, desto häufiger passierte es, dass Stevie Bernds Rückkehr von der Toilette oder vom Tresen, wo er Bier für sie geholt hatte, nicht bemerkte oder vergaß, für ihn wieder Platz neben sich zu schaffen.

    "Oh, come on, kid, I´m just having fun! I´m not doing anything with them, right?" sagte er, als Bernd sich einmal eifersüchtig darüber beschwerte, dass er die Männer noch anstachelte. "Noch nicht", hatte Bernd geantwortet. "Aber ich kann es dir ansehen. Du würdest gerne mit einigen was anfangen!"

    Es war spät, drei Uhr nachts, und er und Stevie waren gerade erst nach Hause zurückgekommen. Bernd hatte einen schlechten Geschmack von zuviel Bier im Mund, und seine Sachen rochen nach kaltem Zigarettenrauch. Unter seinen Augen waren dicke Ringe, und er war müde, aber Stevie war noch völlig aufgedreht, wurde mit jeder Minute wacher, rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.

    "You don´t trust me!" sagte er.

    "Warum sollte ich?" antwortete Bernd patzig. "Jedesmal wenn wir zusammen ausgehen, ist es dasselbe Spielchen. Du lässt dich völlig hemmungslos anbaggern und angrapschen, und ich stehe daneben und muss dabei zusehen, wie du dich und die anderen Kerle aufgeilst. Glaubst du, es macht mir Spaß mitzubekommen, wenn du jemand anderem erzählst, du würdest ihm am liebsten auf der Klappe deinen Schwanz ins Maul stopfen? Warum sollte ich Vertrauen zu dir haben?"

    "Because I´m just teasing. Because I never actually do it with anybody else but you", sagte Stevie. "Yet", fügte er dann murmelnd hinzu.

    Und obwohl Stevie dabei seinen Blick abwandte, glaubte Bernd ein verräterisches Glitzern in seinen Augen zu erkennen.



    Einige Wochenenden später wäre Bernd eigentlich am liebsten alleine geblieben. Ein Virus schien sich in ihm breit zu machen, belegte seine Muskeln und Glieder mit einer bleiernen Müdigkeit, verstopfte seine Nase und reizte seine Bronchien. Die Versuchung, sich einfach ins Bett zu legen, und sich der Erkältung und dem Selbstmitleid hinzugeben, war fast unwiderstehlich. Als Stevie ankündigte, trotzdem kommen zu wollen, hatte Bernd Bilder vor Augen, von denen er wusste, dass sie Illusionen bleiben würden. Bilder, in denen Stevie ihm in der Küche eine Hühnersuppe aufwärmte und mit Wadenwickeln das aufsteigende Fieber bei Bernd bekämpfte.

    Es war spät, als Stevie am Freitagabend endlich eintraf. Bernd hatte ein Kamilledampfbad gemacht und sich schwitzend ins Bett gelegt. "Hi, kid!", sagte Stevie und warf seine Tasche achtlos in die Ecke. "Jesus, you look awful! What´s wrong with you?"

    "Ich glaube, ich krieg eine Erkältung", schniefte Bernd und trompetete anschließend in ein Taschentuch.

    "I see", sagte Stevie. Dann ging er ins Bad, um zu duschen.

    Als er fertig war, begann er, in seiner Tasche nach Klamotten zu suchen und pfiff leise vor sich hin.

    "Was machst du da?", fragte Bernd.

    "Well, what does it look like? I´m dressing. I wanna go out and have some fun. You coming along?", antwortete Stevie.

    "Mit der Erkältung? Ganz bestimmt nicht!", antwortete Bernd enttäuscht. "Außerdem habe ich gedacht, du würdest dich vielleicht ein bisschen um mich kümmern."

    "And what would you want me to do? Sit at your bedside and hold your hand?" fragte Stevie sarkastisch.

    "Zum Beispiel", sagte Bernd.

    "Oh come on, kid. Get real! I´ve had a hard week. I need a change. You go on sleeping, I´ll go on out." Damit hatte er sich seine Jacke geschnappt und zog die Tür hinter sich zu.

    Seufzend und mit schlechter Laune knipste Bernd die Lampe neben seinem Bett aus und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Innerhalb von Sekunden war er eingeschlafen.

    Mitten in der Nacht wurde er wach, als das Licht eingeschaltet wurde. Stevie saß neben ihm auf dem Bett, hatte die Bettdecke weggezogen und fummelte an Bernds Schwanz herum. Verschlafen versuchte Bernd, Stevies Hand wegzudrücken und öffnete die Augen. In der Schlafzimmertür stand ein fremder Mann mit Lederjacke und Bundeswehrhose und beobachtete interessiert und aufgegeilt das Geschehen.

    "I brought someone along. How about a threesome? I told him you´re a good cocksucker", erklärte Stevie betrunken.

    Bernd hatte das Gefühl, einen Schlag in die Magengrube erhalten zu haben. Taumelnd sprang er aus dem Bett, zog sich eine Jogginghose an, und für einen Augenblick war seine Erkältung vergessen.

    "Raus", sagte er leise und kalt und ging drohend auf den anderen Mann zu, der noch immer im Türrahmen stand. "Verschwinde sofort aus meiner Wohnung." Der Mann hob nur abwehrend die Arme hoch, und Sekunden später hörte Bernd die Wohnungstür zuklappen.

    Dann wandte er sich Stevie zu, der sich inzwischen vom Bett erhoben hatte und entgeistert die Szene beobachtet hatte.

    "Du blödes Arschloch!", schrie Bernd ihn an, und auf einmal sammelte sich die ganze aufgestaute Wut und Hilflosigkeit der letzten Wochen in ihm und suchte ein Ventil. "Was glaubst du eigentlich, wer du bist?" Ohne nachzudenken, griff er mit seiner rechten Hand zu dem nächstbesten Gegenstand, den er erreichen konnte, und ein Sekundenbruchteil später prallte ein Buch neben Stevies Kopf an die Wand. Völlig überrascht von Bernds Wutausbruch verharrten beide wie erstarrt in ihren Bewegungen und beobachteten, wie das Buch im Herunterfallen noch die Lampe und eine Packung Aspirin vom Nachttisch auf den Boden herunterriss. Es war, als ob jemand einen Film für Sekunden angehalten hatte und dann im Zeitlupentempo weiterlaufen ließ.

    Bernd war der erste, der sich wieder losreißen konnte. "Du bist nicht länger mein Freund", sagte er ruhig zu Stevie. "Mach, dass du rauskommst!"

    Stevie sah Bernd mit einem abfälligen Blick an. "I´d better be going. You´re acting hysterical. I don´t have to take this shit from you", sagte er mit einem kalten Unterton. Er schüttelte den Kopf, nahm seine Zigaretten vom Tisch und knallte die Wohnungstür hinter sich zu, ohne Bernd nochmal eines Blickes zu würdigen. Bernd hörte, wie kurz darauf der Aufzug nach unten fuhr.

    Reglos blieb er neben seinem Bett stehen und starrte an sich herunter, fassungslos. Sein erster Gedanke war, Stevie nachzulaufen, sich zu entschuldigen für seinen Wutausbruch und zu hoffen, dass alles wieder gut werden würde, dass Stevie ihm verzeihen konnte. Panisch trieb ihn die Angst, Stevie zu verlieren, bis zur Wohnungstür. In diesem Moment hätte er alles getan, um Stevie zu halten, hätte sich ihm vor die Füße geworfen, wäre auf jede von Stevies Bedingungen eingegangen, nur um die Furcht vor dem Alleinsein aus seinem Kopf zu verbannen. Ohne darauf zu achten, dass er keine Schuhe mehr anhatte, drückte er hektisch die Klinke herunter und öffnete die Tür.

    Dann hielt er plötzlich inne, blieb stehen und beobachtete wie in Trance seine Hand, die wie von selbst und scheinbar ohne seinen Willen die Wohnungstür wieder schloss und dann auf der Türklinke liegen blieb. Schwer atmend und zitternd drehte Bernd sich um. Jetzt, plötzlich, ließ der Adrenalinschub nach, und die zeitweise vergessenen Grippesymptome drangen wieder in den Vordergrund. Bernds Schädel hämmerte fast unerträglich, alle eben noch verflogenen Gliederschmerzen waren wieder da, und Fieber trieb ihm Schweißperlen auf die Stirn.

    Mühsam ging er in das Schlafzimmer zurück und sammelte das Buch und die Lampe mit der zersplitterten Glühbirne vom Boden auf. Dann ließ er sich auf sein Bett fallen und starrte an die Decke.

    Scheiße, dachte er. Scheißescheißescheiße.



    Bernd stand auf, steckte den Einkaufszettel, den er geschrieben hatte, in die Hintertasche seiner Jeans, nahm seinen Rucksack und lief das Treppenhaus hinunter, jeweils zwei Treppenstufen auf einmal nehmend. Wenn er noch vor Ladenschluss die Geschäfte erreichen wollte, musste er sich beeilen. Die Dämmerung hatte mittlerweile zugenommen, und das Zwielicht, das draußen herrschte, wurde vor dem Park, an dem er auf seinem Weg in die Einkaufsstraße vorbei musste, durch die nur spärliche Beleuchtung noch verstärkt.

    Der schrille Ton einer Fahrradklingel riss Bernd aus seinen Gedanken. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich vor ihm ein Fahrrad auf und steuerte direkt auf ihn zu. Gerade noch rechtzeitig konnte Bernd auf dem Radweg, auf dem er lief, zur Seite springen, um nicht umgefahren zu werden. Er blieb stehen und sah dem Mann nach, der an ihm vorbeifuhr und ihm dabei ein breites Grinsen zuwarf. Er trug eine engsitzende Jeans und eine blaue Bomberjacke, und unter seiner Baseballkappe konnte Bernd einen kurzen dunklen Kinnbart erkennen.

    Putziges Kerlchen, dachte Bernd. Und schwul außerdem.

    Als er Bernd passiert hatte, drehte der Typ sich ebenfalls um und versuchte, im Vorbeifahren noch einen Blick auf Bernd zu erwischen. Bernd wollte gerade zurücklächeln, als er sah, wie das Rad gefährlich nah auf einen Laternenpfahl zusteuerte. Im nächsten Moment hörte er ein lautes Scheppern und Krachen und dann setzten sich seine Füße auch schon in Bewegung. Als er an der Laterne ankam, war der Typ schon wieder dabei, sich unter leisem Fluchen vom Boden aufzurappeln.

    "Hast du dir wehgetan?" fragte Bernd besorgt.

    Die Situation war dem anderen sichtlich peinlich. "Nein, nicht wirklich. Ist wohl nur eine Schürfwunde", antwortete er mit schmerzverzerrtem Gesicht und rieb sich sein rechtes Knie und einen Arm. "Ich bin okay, glaube ich."

    "Dein Fahrrad ist kaputt", sagte Bernd unnötigerweise und zeigte auf das Rad, das mit gekrümmten Vorderrad und verbogenem Lenker vor ihnen auf dem Boden lag. "Und deine Hose ist hinüber."

    "Ja", sagte Bernds Gegenüber und befingerte vorsichtig den Riss in seiner Jeans, durch den ein Stückchen seines Oberschenkels hindurchblitzte. "Scheiße", fügte er dann hinzu und sah Bernd etwas hilflos an.

    Bernd musste grinsen. "Originelle Anmache", sagte er.

    "Ja", bekam er zur Antwort, "ist allerdings ein bisschen kostenintensiv. Was glaubst du, was ich dieses Jahr schon an Hosen und Fahrrädern verschlissen habe." Der Typ schwieg einen Moment, als wolle er erst Bernds Reaktion abwarten. "Ich heiße übrigens Jonas. Und du?"

    "Bernd." Er zögerte kurz. Dann beugte er sich nach unten und hob Jonas´ verbeultes Fahrrad von der Erde auf. "Ich habe Flickzeug für dein Rad bei mir im Keller. Vielleicht kriegen wir es ja wieder fahrtüchtig. Willst du mitkommen?"



    Nachdem Stevie die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, fand Bernd keine Ruhe. Krampfhaft versuchte er, den leeren Platz neben sich zu ignorieren und nicht an Stevie oder daran zu denken, dass er diese Nacht sicherlich nicht mehr schlafen würde. Dann fiel sein Blick auf die Sporttasche, die Stevie über das Wochenende mitgebracht hatte und die er vergessen hatte mitzunehmen, als er aus der Wohnung gestürmt war.

    Geschieht ihm recht, dachte Bernd hämisch. Er braucht sich gar nicht einzubilden, dass ich ihm seine Sachen nachschicke.

    Er begann, auf den Knien mechanisch die Tasche zu durchwühlen, ohne genau zu wissen, was er eigentlich suchte. Unterwäsche, zwei T-Shirts, ein gelb-weiß gestreiftes Hemd und eine Hose räumte er zur Seite, bis er zuunterst die weiße Jeansjacke fand, die Stevie bei ihrem Kennenlernen getragen hatte. Einen Moment lang kämpfte er mit den Tränen, und dann wusste er plötzlich ganz genau, wonach er suchte und was er finden würde. Zuerst fielen ihm lose, amerikanische Münzen und Taschentücher in die Hand, die er achtlos neben sich auf den Boden warf. Zielsicher und methodisch kramte er weiter, bis er aus der Innentasche der Jeansjacke einen ganzen Haufen Zettel, halbe Bierdeckel und Visitenkarten zog, alle vollgeschrieben mit Adressen und Telefonnummern von anderen Männern; Männer mit Wohnungen in Berlin, München, Hamburg, Aachen und hier in der Stadt. Manche Zettel enthielten den vollständigen Namen und die Adresse, manche nur einen Vornamen und eine Telefonnummer. Bernd hatte keine Ahnung, wann und wo Stevie all diese Männer kennen gelernt hatte. Während der Woche, wenn er angeblich so viel zu tun hatte? Er atmete einige Male tief durch.

    Irgendwann in der Nacht musste er doch eingeschlafen sein. Als er am nächsten Tag aufwachte und auf die Uhr sah, war es schon weit nach Mittag, und zwischen vielen Wolken am Himmel blinzelte vereinzelt die Sonne durch. Bernds Grippe war wie weggeblasen. Keine Spur mehr von Gliederschmerzen, kein dicker Kopf, kein Husten. Einzig und allein seine Nase war noch verstopft.

    Erleichtert stand Bernd auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Entschlossen stopfte er Stevies Sachen, die noch im ganzen Zimmer verstreut auf dem Boden lagen, wieder in die Tasche zurück. Danach setzte er sich kurz an seinen Schreibtisch und schrieb schnell etwas auf einen Zettel, den er in seine Jeans steckte. Anschließend lief er mit der Sporttasche in der Hand durch das Treppenhaus nach unten und trat durch den Kellerausgang nach hinten in den kleinen Garten, der zu dem Mietshaus gehörte, in dem er wohnte. Jetzt, am Ende des Sommers, machten die roten Geranien und weiß-rosa Fuchsien, die seit dem späten Frühjahr hier in großen Blumentöpfen gewuchert waren, einen kläglichen Eindruck. Nur noch vereinzelt waren Blüten zu sehen, die meisten Pflanzen waren braun und vertrocknet. Vorsichtig blickte Bernd rundherum nach oben zu den anderen Fenstern, die zum Garten hin zeigten. Nichts. Zufrieden schüttelte er den Inhalt von Stevies Tasche auf den Gartenboden und übergoss den Haufen mit einer Flasche Waschbenzin, die er aus der Wohnung mitgenommen hatte. Obenauf legte er den Zettel, den er aus seiner Jeans gezogen hatte. `So long, asshole´, hatte er darauf geschrieben. Dann hielt er sein Feuerzeug an die Sachen, und beobachtete, wie die Flammen an Stevies Kleidung hochzüngelten.

    Während er mit versteinertem Gesichtsausdruck dem größer werdenden Feuer zusah, hörte Bernd plötzlich, wie jemand hinter ihm durch die Kellertür in den Garten trat, dann abrupt stehen blieb und überrascht den Atem anhielt. Langsam drehte er sich um und sah stumm Stevie an, der mit weit aufgerissenen Augen auf sein brennendes Kleiderbündel und Bernd starrte.

    Lange Zeit sagte Stevie überhaupt nichts, sondern schluckte nur heftig und versuchte, sich zu räuspern.

    "I came back to say I´m sorry. But now I don´t think so", flüsterte er dann. "Ich hätte dir wohl besser eine weiße Kapuze mitgebracht."