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lohnt(e) es sich? rückblick auf das filmfestival 2005
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Das Verzaubert Filmfest gab's diesmal etwas früher, vom 17.11.05 bis zum 24.11.05, ansonsten blieb alles beim Alten: Residenz-Kinos, Kaiser-Wilhelm-Ring 30-32; eine Kinokarte kostet nach wie vor 8,00 €. Eine Woche lang die besten neuen Queer Cinema Produktionen 2005 in einem Rutsch!
Matthias war diesmal die meiste Zeit wieder mit dabei, und einmal Michael, so dass ich Zweit- und Drittmeinungen einholen konnte.


crazy Do 17.11.05 20:00 Residenz 1 Eröffnung - C.r.a.z.y. - Kanada 2005, 127', französische Originalfassung mit englischen Untertiteln

Gleichzeitig ein Coming-Out-Drama und ein sehenswertes Zeitdokument des Montreal der 60er bis 80er Jahre. Zachary, der Letztgeborene von vier Kindern im gutbürgerlich-katholischen Hause Beualieu, fällt bereits bei der Geburt aus der Reihe: Ausgerechnet am Weihnachtsabend kommt er zur Welt. Während Mama Laurianne ihren Kleinen stets als jemand Besonderen idealisiert, bleibt für Papa Gervais sein "etwas anderer" Sohn mit dem Hang zu Mädchenkram und "Major Tom" ein Buch mit sieben Siegeln. Doch Papa ist beileibe nicht der Prototyp des Otto-Normal-Spießers, liebt er doch französische Chansons, (die er begeistert mitsingt), und coole Ausfahrten mit dem alten Ami-Straßenkreuzer, (die Zachary begeistert mitmacht). Mit Zacharys Pubertät wird es schwieriger, auf der einen Seite die Bemühungen des Vaters um die "Heterosexualisierung" seines Sohnes, auf der anderen Seite die Schwierigkeiten Zacharys, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Dabei kommt es zu mancher dramatischen, irrationalen Handlung, etwa knatternd mit dem Mofa bei Rot über die Kreuzung fahren: "Wenn ich heil drüber komme, wird alles anders".

crazy Der Film begleitet die Entwicklung der Familie auf ebenso spannende wie humorvolle Weise über 2 Jahrzehnte und konzentriert sich dabei vor allem auf das Verhältnis des Vaters zu seinem schwulen Sohn. Und allmählich wird klar, dass dieses Verhältnis letztlich intensiver ist als zu den anderen drei Söhnen, obwohl oder vielleicht gerade weil Zachary so völlig anders ist.

Ein schöner, glaubwürdiger, spannend und humorvoll erzählter Film. Lediglich die kurze Selbstfindungs-Episode von Zachary in Israel wirkt auf mich etwas weit hergeholt und unterbricht den Erzählfluss, der dann aber mit der Rückkehr von Zachary nach Montreal schnell wieder in Takt kommt.

Webseite: concours.canoe.com/concours_crazy   (Quicktime - Trailer auf der Seite)

"C.r.a.z.y. Verrücktes Leben" DVD (deutschsprachig) bei Amazon.de bestellen


Do 17.11.05 22:30 Residenz 2 - Vanilla - USA 2004, 47', englische Originalfassung

Der Film erzählt vom Teenager Jeff, der den unheimlichen Bay Side Strangler tot im Park auffindet. Dieser hat sich selbst eine Kugel in den Kopf geschossen, nachdem er die Wochen zuvor mehrere Jungs aus einer schwülstig- schönen Schwulenbar abgeschleppt und in schwülstig schönen s/w Bildern erwürgt hat. Jeff fühlt sich von der Welt des toten Serienmörders magisch angezogen, träumt von roughem Sex. Die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit ist bald nur noch eine verschwommene Linie - Geilheit und Tod liegen dicht beieinander.

vanilla Dieses Machwerk als "erotischen Thriller" zu bezeichnen (so der "Verzaubert" Filmkatalog), ist wirklich eine Frechheit gegenüber dem Kinobesucher. Angefangen von der krassen Fehlbesetzung des Bay Side Stranglers (erwartet hätte ich einen destruktiven Lover mit ausdrucksstarkem Gesicht, nicht eine platte in die Jahre gekommene aufgepumpte Leder-Schwuppe, siehe Foto) über ein streckenweise unfreiwillig komisches Drehbuch bis zur eher amateurhaft anmutenden Ausführung war hier eigentlich alles ziemlich daneben. Lediglich die schauspielerische Leistung von Ryan Ellen als Jeff ging in Ordnung.

Ich habe nichts gegen "low budget" Filme mit Einschränkung bei der technischen Seite, ich hab' was gegen "low talent" Filme. Vielleicht kann ein Fan von "Atemkontrolle" Sex noch was aus diesem Werk ziehen, es gibt ja wenig Würge-Pornos auf dem Markt.


Ethan Mao Fr 18.11.05 19:30 Residenz 1 - Ethan Mao - Kanada, USA 2004, 88', englische Originalfassung

Eine chinesische Millionärsfamilie in Los Angeles, genauer gesagt, ein chinesischer autoritär-kapitalistischer Vater, zwei leibliche Söhne Ethan und Noel, ferner die kürzlich neu geheiratete amerikanische Stiefmutter und deren älterer Sohn. Ethan, 18 Jahre jung, wird von seinem Vater aus dem Haus geworfen, nachdem dieser bei ihm ein schwules Pornoheft gefunden hat. Ab da schlägt sich Ethan auf dem Sunset Strip als Hustler durch. Er lernt den jungen sexy Latino Drogendealer Remigio kennen, der ihn in seiner Wohnung aufnimmt. Die platonische Liebe der beiden wird auf eine harte Probe gestellt, als Ethan mit Remigios Hilfe ins Elternhaus zurück will, um heimlich ein Andenken an seine verstorbene leibliche Mutter zu entwenden. Es kommt, wie es kommen muss: Vater, Stiefmutter, Bruder, Halbbruder kehren zu früh zurück, und so muss Ethan seine Verwandtschaft mit vorgehaltener Waffe in Schach halten: Schnell werden alte Rechnungen beglichen, und die Stiefmutter spielt ein falsches Spiel. Ethan Mao

Recht amüsant der hinreißende Zynismus der Stiefmutter (Julia Nickson), die keinen bösen Kommentar auslässt und dann auch noch unter den Augen ihres Stiefsohns versucht, dessen Lover Remigio (Jerry Hernandez) anzubaggern. Was allerdings die "Schuld und Sühne"-Nummern zwischen Vater und Sohn, Bruder und Bruder, Latin Lover und Asia-Trutsche, Tenor "Ich liebe dich doch!" "Wir haben uns in Wahrheit immer geliebt!" "Wie weit wollen wir für unsere Liebe gehen?" angeht, bleiben viele Fragen hinsichtlich der dramaturgischen Qualität offen. Man muss schon sehr viele Soaps verinnerlicht haben, um diese flachen Gefühls-Inszenierungen als wahres Leben durchgehen zu lassen. Wer täglich "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", "Verbotene Liebe" usw. guckt, der wird an diesem Mix aus Denver Clan und Asia-Exotik, gepaart mit ein bisschen Strichjungen-Romantik, seine helle Freude haben.

Webseiten: www.pro-fun.de/html/ethan_mao.html   Trailer
www.marginfilms.com/ethanmao    Trailer (Quicktime)

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Gas Sa 19.11.05 17:15 Residenz 1 - Gas - Italien 2005, 100', italienische Originalfassung mit englischen Untertiteln

Ein Vorort von Rom: Vier junge Männer und zwei Frauen kidnappen einen älteren Mann. In einem Bunker unter einer stillgelegten Fabrik beginnt eine lange Nacht mit Alkohol, Drogen, Sex und Quälereien zu hartem Technobeat. In Rückblenden erfahren wir mehr über die Bande, vor allem über Luca. Gas

Der 24-jährige Luca (seeeehr lecker: Lorenzo Balducci) muss nach der Rückkehr des schwulen Bruders seiner Freundin hilflos erkennen, dass er sein bisheriges angepasstes Leben nicht mehr weiterführen kann. Doch von einem Coming Out kann nicht die Rede sein, eher von versteckter, heimlich ausgelebter Homosexualität.

Auch die vier anderen Kidnapper leben in einer Atmosphäre unausgelebter Wünsche, Frustrationen und angestauter Aggressionen. Zunächst bleibt unklar, was diese fünf zu ihrem Horrotrip, der darin besteht, willkürlich eine x-beliebige Person auf grausamste Weise zu quälen, zusammengeführt hat. Gegen Ende lichtet sich der Nebel, und die Zusammenhänge werden klar. Der Film erweist sich im Finale als knallhart und für meinen Geschmack wunderschön konsequent. Nichts für schwache Nerven.

Webseite: www.intramovies.com/movies/2429.htm


Transamerica Sa 19.11.05 19:30 Residenz 1 - Transamerica - USA 2005, 103', englische Originalfassung

Die transsexuelle (Fast-)Frau Bree lebt in Kalifornien und freut sich auf ihre unmittelbar bevorstehende Geschlechtsumwandlung, als ein Anruf aus einem New Yorker Jugendknast kommt und die überraschende Erkenntnis bringt, dass Bree einen dort wegen Drogenmissbrauch einsitzenden Sohn hat - Produkt einer längst vergessenen experimentierfreudigen Nacht, als Bree noch Stanley hieß. Alle Hoffungen, das Thema schnell vom Tisch zu kriegen, scheitern, als sich Brees Therapeutin quer legt und ihre positive Beurteilung zur Geschlechtsumwandlung davon abhängig macht, dass Bree sich ihrer Vergangenheit stellt. Und so holt Bree ihren/seinen Sohn Toby aus dem Jugendknast, natürlich, ohne ihm reinen Wein einzuschenken. Toby hält die seltsame, hölzerne Frau für eine christliche Missionarin.

Ein anfänglicher Versuch Brees, den missratenen Jungen einfach im Heimatdorf bei seinem Stiefvater abzusetzen (die Mutter ist zwischenzeitlich verstorben), scheitert zwar nicht an der Wiedersehensfreude des Stiefvaters "Mein Sohn! Was habe ich dich vermisst!" aber an der Reaktion des Stiefsohns: "Klar hast du mich vermisst, meinen willigen Mund hast du vermisst, meinen kleinen festen Arsch hast du vermisst". Es folgt eine Schlägerei und Brees Erkenntnis, dass Toby hier wohl doch nicht optimal untergebracht ist. Transamerica

Wenig später befindet sich das seltsame Paar auf einem Roadtrip quer durch die USA gen Westküste, der in der Ankunft in Brees Elternhaus in Beverly Hills gipfelt. Absolut köstlich Brees Mutter, die beim Anblick ihres Sohnes in Frauenkleidern das nackte Entsetzen packt, welches binnen Sekunden in Verzückung umschlägt, als ihr klar wird, dass der bildschöne Toby ihr Enkelsohn sein muß. Spätestens da standen selbst einem abgebrühten Cineasten wie mir die Lachtränen in den Augen.

Transamerica Eine absolut köstliche Komödie, die ihre Situationskomik ausreizt, ohne dabei in platten Klamauk (im Stile Mambo Italiano) abzudriften. Insbesondere die außergewöhnliche Darstellungsleistung von Felicity Huffmann ("Desperate Housewives") als Bree bewahrt der transsexuellen Hauptfigur des Films eine gehörige Portion Achtung und Würde. Ich selbst habe hier - ganz nebenbei - in meiner Sichtweise von Transen einiges dazu gelernt. Gutes Drehbuch mit einem stimmigen Schluss. Ein kurzweiliger Film, der gleichzeitig zum Lachen bringt und aufbauend wirkt. Die Verzaubert Filmfest Teilnehmer in Köln, Berlin, Frankfurt, München haben ihn zur Nr. 1 des Festivals gewählt. Das Urteil geht 100% in Ordnung.

Felicity Huffmann erhielt einen Golden Globe 2006 als "beste Darstellerin" für ihre Darbietung in diesem Film, hochverdient! Die Chancen stehen damit gut, dass "Transamerica" in deutsch synchronisierter Fassung 2006 in unsere Kinos kommt, unbedingt ansehen! Wer von euch DSL hat, sollte jetzt ruhig mal auf den folgenden Link klicken, selbst der Trailer ist schon gut zum Ablachen.

Webseite: www.transamerica-movie.com (Trailer auf der Startseite)

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50 ways of saying fabulous Sa 19.11.05 21:45 Residenz 1 - 50 ways of saying fabulous - Neuseeland 2005, 90', englische Originalfassung

Was ist ein "Poofter"? Ein Poofter ist ein viel zu dick geratener pubertärer Junge mit Titten und weiblichem Outfit, einer wie Billy. Billy lebt im ländlichen Neuseeland der 70er, wo die Welt noch heil ist: Wir sehen ihn meist auf dem Bike durch wunderschöne Landschaft radeln, bei Tage und unter sternenreichem Nachthimmel, den auch schon mal ein Ufo durchkreuzt, denn Billy hat eine weitreichende Fantasie. Viele Freunde hat er auf der Schule nicht, eigentlich nur seine flachbusige Freundin Lou, der die weibliche Optik in dem Maße abgeht, wie Billy zuviel davon hat. Immerhin ist sie heterosexuell, was man von Billy nicht behaupten kann. Der teilt bald Masturbationsspielchen mit dem neuen Mitschüler Roy (auf der Beliebtheitsskala an der Schule noch unter Billy rangierend), bis er einseitig den Kontakt abbricht, um "sich aufzuheben" für den neuen maskulinen erwachsenen Farmarbeiter Jamie. In den hat sich aber auch Lou verknallt. Und so werden aus kindlichen Spielen bald Eifersüchteleien, zunehmende Grausamkeiten und Verrat an der freundschaftlichen Beziehung.

Kinder spielen ein Erwachsenenspiel, dies ist die bizarre Ausgangslage des Films, der weder ein richtiger Kinderfilm noch ein richtiger Schwulenfilm ist, aber durchaus seinen skurrilen Humor entfaltet, nicht zuletzt dank der erfrischend überdrehten Spielweise von Andrew Paterson als Billy, der anfangs als Identifikationsfigur reichlich gewöhnungsbedürftig ist, dann aber durch seine Gewitztheit dem Film einen ganz eigenwilligen Charme verleiht. Die Situationskomik tut ihr Übriges. Wenig befriedigend das Ende des Films, weil keine Entwicklung wahrnehmbar ist: Zum Schluß sind die Kinder wieder Kinder, alte Freundschaften wieder intakt, und alles ist wie vorher.

Webseite: www.fiftywaysofsayingfabulous.com (Trailer auf der Seite)


Time to Leave So 20.11.05 19:30 Residenz 1 - Time to Leave (Le Temps Qui Reste / Die Zeit die bleibt) - Frankreich 2005, 86', französische Originalfassung mit deutschen Untertiteln

Der neueste Film von Frankreichs Kult-Regisseur Francois Ozon ("8 Frauen", "Swimmingpool", "5x2"), entsprechend voll der Kinosaal des Residenz 1.

Der Modefotograf Romain (schauspielerisch und optisch herausragend: Melvil Paupaud) führt ein schnelles Leben, geprägt von stressigen Fotoshootings, Geld und Koks. Aus dieser Welt wird er herausgerissen, als ihm sein Arzt eröffnet, dass er einen bösartigen Hirntumor hat, Lebenszeit noch knapp 3 Monate. Statt sich einer wenig erfolgversprechenden Chemotherapie auszusetzen, beschließt er, die verbleibenden Tage lieber mit Würde zu erleben.

Time to Leave Einer seiner ersten Wege führt ihn zu seiner Großmutter, mit der er eine entscheidende Gemeinsamkeit hat: "So wie ich stirbst du bald". Die Großmutter wird gespielt von Jeanne Moreau, bei der ich manchmal nicht weiß, ob sie die Drehbuchrolle der Oma darstellen oder dem Film als französische Film-Ikone zusätzliches Gewicht verleihen soll, was der gar nicht nötig hat.

Time to Leave Die anderen Begegnungen Romains fallen unpathetischer und damit überzeugender aus: Das Aufeinandertreffen mit den Eltern, der Schwester, seinem Lover Sasha. Romain macht hier eine Wandlung durch. Anfangs setzt er in seiner gewohnt arroganten Art vor allem negative Gefühle frei: Er eröffnet seiner Schwester, dass er sie nicht leiden kann, und teilt seinem Lover mit, dass er ihn nicht mehr liebt und er die Wohnung verlassen soll. Im Laufe der Wochen lernt er, dass auch die auf dieser Erde Verbleibenden ihre Verletzlichkeiten haben, und sucht den Ausgleich. Höhepunkt ist zweifellos das zufällige Zusammentreffen mit der Bedienung in einem Schnellrestaurant. Ihr seltsames Anliegen an Romain hat weitreichende Konsequenzen - über den Tod hinaus.

Ein sehr schöner, leiser, intimer und melancholischer Film. Hier wird kein großes Gefühlschaos verhandelt, hier sieht man jemandem beim Leben zu. Und es scheint, dass die letzten Wochen im Leben Romains nicht die schlechtesten sind.

Webseite: www.francois-ozon.com   Trailer

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A Love to Hide Mo 21.11.05 19:30 Residenz 2 - A Love to Hide (Un amour à taire / Eine verbotene Liebe) - Frankreich 2004, 103', französische Originalfassung mit englischen Untertiteln

Sommer 1942 im von den Deutschen besetzten Paris. Der bürgerliche Jean versteckt seine jüdische Jugendfreundin Sarah bei seinem heimlichen Lover, dem Widerstandskämpfer Philippe. Mit gefälschten Papieren verschafft er ihr Arbeit in der gut gehenden elterlichen Wäscherei. Philippe ist nicht begeistert, denn die Lage wird zunehmend gefährlicher - zudem ist Sarah offensichtlich in Jean verliebt.

A Love to Hide Was anfängt wie eine ménage à trois vor Nazi-Kulisse, schlägt in blankes Entsetzen um, als Jean durch seinen von Rivalität geprägten Bruder bei der örtlichen Polizei denunziert wird. Aus der zunächst angedachten vorübergehenden Verhaftung wird eine dauerhafte, als sich die SS einschaltet und in Jean jemanden wiedererkennt, der in einem Club mit einem homosexuellen deutschen Offizier getanzt hat. Dieser Offizier hat mittlerweile Selbstmord begangen. Während Jean sich als Folteropfer brutaler Nazi-Schergen wiederfindet, versuchen Eltern und reumütiger Bruder verzweifelt, den schwulen Sohn frei zu bekommen. Doch es ist zu spät: Jean wird in ein "Umerziehungslager" nach Deutschland abtransportiert. Was ihn dort zusammen mit anderen "Rosa Winkel" Trägern bei der "charakterbildenden" Arbeit in einem Steinbruch erwartet, wird in einer schonungslosen Offenheit dargestellt, die auf den Kinobesucher mehr als verstörend wirkt. Nach dem Krieg wird Jean als persönlichkeitsloses, nicht ansprechbares Geisterwesen nach Paris zurückgebracht: Deutsche Ärzte haben an ihm Lobotomie-Experimente gemacht (d.h. zur "Heilung" der sexuellen "Verirrung" Nervenbahnen am Gehirn durchtrennt).

Das Bedrückendste an diesem Film ist, dass die gezeigten Monströsitäten tatsächlich stattgefunden haben, was vielen heute nicht bewusst ist: Nach dem Krieg ist das in der Nazizeit an Schwulen verübte Unrecht weder auf deutscher noch auf französischer Seite aufgearbeitet worden, und so blieb es jahrzehntelang. Das Wissen um die Behandlung von Homosexuellen im 3. Reich ist auch heute noch recht dünn (und wird es mangels noch lebender Zeitzeugen wohl auch bleiben). Auch stellen sich die Franzosen bis heute nicht gerne Fragen zu ihrer Mittäterschaft bei der Deportation von durch die Nazis verfolgten Minderheiten. Ein Thema, um das sie mit diesem erschütternden Film nicht herum kommen.

Ein überfälliger Film, von dem ich mir wünschte, er wäre 1950 in die deutschen Kinos gekommen: Vielleicht hätten dann schwule Zeitzeugen den Mund aufgemacht. Vielleicht hätten wir dann nicht noch 20 Jahre im "demokratischen Rechtsstaat" BRD mit dem Homo-Paragraphen 175 StGB im Wortlaut der Hitler Version weitergemacht. Vielleicht hätte es dann nicht vierzig Jahre ab Kriegsende gedauert, bis sich ein deutscher Bundespräsident (Richard von Weizsäcker) zum ersten Mal zum Leiden der Homosexuellen in der Nazizeit bekannte.

DVD beziehbar über Amazon Frankreich
(Regionalcode 2, frz. Originalfassung)


Loggerheads Di 22.11.05 21:45 Residenz 12 - Loggerheads - USA 2005, 95', englische Originalfassung

Loggerheads

Der hübsche Vagabund Michael taucht in einem kleinen Strandort an der Küste North Carolinas auf, getrieben von der Idee, eine dort ansässige bedrohte Schildkröten-Spezies (Loggerheads) zu retten. George, der ein kleines Hotel an der Küste betreibt, nimmt Michael bei sich auf und verliebt sich in ihn. Die beiden verbringen viele Nächte auf Schildkrötensuche am Strand...

Loggerheads Nicht weit davon entfernt, im Spießerkaff Eden, erlebt ein Priesterehepaar den Zuzug der neuen Nachbarn: Priestergattin Elizabeth dreht im letzten Moment mit dem Begrüßungskuchen ab, als sie sieht, wie sich im Eingang des Nachbarhauses zwei Männer küssen. Eine Beratung mit ihrem bigotten Mann führt zu der Erkenntnis "erst mal abwarten" und "besser nicht in die Sonntagsmesse einladen". Doch unter der konventionellen Fassade von Elizabeth schwelt eine tiefere Sorge...

Die angepasste Grace schmeißt ihren Job und macht sich auf der Suche nach ihrem einst auf Druck ihrer Mutter zur Adoption freigegebenen Sohn. Seine Spur führt nach North Carolina...

Loggerheads Recht lose sind hier die Welten dreier Menschen (Michael, Elisabeth, Grace) miteinander verknüpft, und bei dieser Losgelöstheit bleibt es auch, obwohl zwischen den drei Menschen in der Tat eine Verbindung besteht. Mit leichter Melancholie zeigt der Film drei Menschen, die auf der Suche sind, aber nicht wirklich finden. Dabei lässt sich Michael von allen Charakteren mit der größten Leichtigkeit treiben, doch auch Elisabeth und Grace lernen im Laufe der Handlung, zu akzeptieren, dass die Dinge im Fluss sind und nicht nach Wunschdenken festgehalten werden können. Was positiv auffällt: Die Personen im Film reden miteinander, ihre Gespräche bringen sie dazu, die Haltung des anderen zu verstehen und ihre eigenen Grenzen zu akzeptieren. Lediglich der Priester versagt hier auf der ganzen Linie, er bleibt bei seinen (Vor)urteilen, blockt die Aussprache mit seiner Frau konsequent ab und hält stattdessen lieber eine verlogene Sonntagspredigt in seiner kleinen Kapelle in Eden.

Eine schöne Kameraführung, eine für's US Kino ungewöhnliche Ruhe in der Bildsprache unterstützen die melancholisch / hoffnungsvolle Stimmung dieses Films.

Webseite: www.loggerheadsmovie.com    (Trailer auf der Seite)

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Do 24.11.05 21:45 Residenz 12 - Closing: Mysterious Skin - USA 2004, 99', englische Originalfassung

Mysterious Skin Die Story beginnt 1981 in einem kleinen Kaff namens Hutchinson. Der sichtlich verstörte achtjährige Brian wacht auf, hat Nasenbluten und hatte einen Blackout: Im fehlt die Erinnerung an 5 Stunden seines Lebens. Wir sehen einen anderen kleinen Jungen, Neil, der von seinem Baseball-Trainer mit nach Hause genommen wird. Neil meint hier, die väterliche Zuneigung zu erfahren, die ihm zuhause fehlt (seine Mutter lebt allein und schlägt sich mit wechselnden Männerbekanntschaften herum). Hier, in der Wohnung des Coaches steht er im Mittelpunkt, hier wird er "geliebt". Doch schnell stellt sich heraus, dass die Absichten des Coachs alles andere als edel sind: Der Coach steht auf kleine Jungs.

Der verstörte "Loser" Brian hat eine Begegnung mit dem jungen Neil, der ihn in eine Falle lockt und quält. Genaues weiß Brian kurz darauf nicht mehr, denn er hat einen erneuten Blackout, wacht auf dem Boden liegend auf und hat erneut Nasenbluten.

Jahre später ist Brian fest davon überzeugt, seine Blackouts hingen mit Übergriffen von Aliens zusammen. Er ist überzeugt, ein UFO gesehen zu haben. Doch seine Begegnung mit einer UFO-gläubigen jungen behinderten Frau, von der er im Fernsehen erfahren hat, ist wenig zielführend.

Mysterious Skin Aus Neil ist mittlerweile ein gutaussehender, zynischer Stricher geworden, der sich ansonsten die Zeit mit seiner Freundin aus Kindertagen Wendy und der Megatunte Eric vertreibt. Aber eigentlich macht er sich aus niemandem etwas. Oder wie Eric es formuliert "Neil ist der Saturn - und wir kreisen eben wie Planeten um ihn".

Brian recherchiert über seine Blackouts und indentifiziert auf einem alten Schulfoto der Kinder Baseballmannschaft einen der "Aliens", die ihn gequält haben: Es ist Neil.

So schließt sich allmählich der Kreis dieser zunächst teilweise bizarr wirkenden Story, erst in der Schluss-Sequenz (die nicht verraten wird) ergibt alles einen Sinn. Fesselnd erzählt, mit z.T. schockierenden Einblicken in die Freier "Persönlichkeiten", ihre Bürgerlichkeit, Verlogenheit, Gier, Lächerlichkeit, Verzweiflung, Brutalität. Dabei bekommt auch das Thema AIDS einigen Raum. Ende der Achtziger gab es keine Medikamente: Und so sehen wir in erschütternden Bildern einen Freier, dessen Haut mit Kaposi Flecken übersät ist, ein Bild, das es so heute fast nicht mehr gibt.

Der Film basiert auf einem Roman von Scott Heim, der aufgrund des brisanten Themas eigentlich als unverfilmbar galt. Doch Regisseur Gregg Araki gelingt dieses Kunststück auf eindrucksvolle Weise.

(Inoffizielle) Webseite: www.rottentomatoes.com/m/mysterious_skin    Trailer

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Das Buch zum Film auf deutsch: Scott Heim "Mysterious Skin - Unsichtbare Narben" bei Amazon.de
Das Buch zum Film auf englisch: Scott Heim "Mysterious Skin" bei Amazon.de


Die sehenswertesten Filme sind in meinen Augen Transamerica, Time To Leave, A Love To Hide und Mysterious Skin. Die Zuschauer von Verzaubert (es waren insgesamt - wie in den Vorjahren - ca. 40.000 Besucher in allen Veranstaltungsorten zusammen) wählten "Transamerica" zum besten Spielfilm und "Mostly Willing" (Frankreich 2004) zum besten Kurzfilm des Festivals.

In eigener Sache: Seit 2001 beobachten wir das Verzaubert Filmfest, die dabei entstandenen Berichte zu den Festivals 2004 2003 2002 2001 wurden 2004 komplett überarbeitet, sind jetzt aus einem Guss und stellen ein lohnendes schwules Filmarchiv dar, inklusive Amazon-Link zur entsprechenden DVD. Wobei gaykoeln Partnerschaften zu Amazon Deutschland und Amazon USA unterhält.

Mit jeder über einen solchen Amazon-Link gekauften DVD tust du auch was für gaykoeln, damit es hier Jahr für Jahr mit kostenloser Berichterstattung über "verzaubernde" Filme weitergehen kann.

Wenn du den gaykoeln Verzaubert Rückblick auf deiner Homepage verlinken möchtest, nimm bitte als Link diesen Shortcut http://www.gaykoeln.de/verzaubert - er führt immer automatisch zum aktuellsten Filmfestival, d.h. du brauchst diesen Link nie mehr anzupassen. Und: Danke!

andreas